Mittwoch, 19.12.2018
Sicher oder riskant?
Warum wir uns manchmal vor dem Falschen fürchten, weiß Risikoforscher Ortwin Renn.
Die Risikoforschung beschäftigt sich mit Statistiken und Rechnungen zur Wahrscheinlichkeit. Sie liefert aber auch interessante Einblicke in das menschliche Denken. Der Risikoforscher Ortwin Renn befasst sich seit Jahren mit gefühlten und tatsächlichen Gefahren. Der Untertitel seines Sachbuchs „Das Risikoparadox“ lautet „Warum wir uns vor dem Falschen fürchten“.
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„Wir unterschätzen Risiken, wenn wir das Gefühl haben: Das Thema ist mir bekannt, die Gefahr wächst eher schleichend“, erklärt Renn. Die Klassiker sind hier Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel und falsche Ernährung. Jeder weiß, dass daraus ernsthafte Probleme erwachsen können, ist aber nicht ernsthaft beunruhigt. Schnell ist eine Ausrede zur Hand: „Ich kann ja noch rechtzeitig selbst Einfluss nehmen.“ Oder „Wenn ich will, kann ich das morgen schon ändern“.
Schwarz-Weiß-Denken
Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen überwiegend in Schwarz-Weiß denken. „Es geht ja auch keiner in den Supermarkt und fragt nach einem Müsli, das zu 90 Prozent gesund ist – es soll einfach gesund sein“, veranschaulicht Renn. Oder, ebenfalls aus dem Alltag gegriffen: „Wir können nicht beim Überqueren jeder Brücke das Risiko eines Einsturzes abwägen. Wir entscheiden intuitiv: Das finden wir sicher, dieses eher unsicher.“ Aus Sicht der Wissenschaft sind jedoch in den meisten Fällen Grautöne angemessen und nicht die schlichte Unterscheidung in Schwarz oder Weiß.
Das zeigt sich laut Renn besonders deutlich bei der Frage nach dem Klimawandel: „Es gibt eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Klimawandel nicht von menschlichen Aktivitäten verursacht wird. Das verführt viele Menschen zu dem Rückschluss, dass man den Klimawandel so lange nicht ernst nehmen muss, bis wir zu 100 Prozent sicher sind“, erklärt er. Aus wissenschaftlicher Sicht ist dagegen schon eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent der dringende Hinweis, etwas zu tun oder zu lassen.
Menschen handeln häufig wider besseres Wissen
Die tägliche Beschäftigung mit Risiken und Risikomodellen mündet für Renn in der Erkenntnis: „100 Prozent Sicherheit gibt es im Leben fast nie.“ Dieser Umstand ist natürlich auch Nicht-Wissenschaftlern bekannt. Allerdings handeln wir häufig nicht entsprechend. Der Risikoforscher Renn beobachtet das auch bei der Geldanlage und der Einstellung zum Kapitalmarkt. Das erwähnte Schwarz-Weiß-Denken der Menschen führt häufig zu Überzeugungen dieser Art: Garantiert sicher sind allenfalls Bundesanleihen, mit Abstrichen vielleicht noch zinsbasierte Sparformen wie Festgeld oder Tagesgeld. Alles andere wird als so unsicher betrachtet wie ein gerade gegründetes Start-up. „Aber zwischen Bundesanleihen und Start-up gibt es doch viele Abstufungen, in denen ich mich mit meinem Sicherheitsbedürfnis einordnen kann“, sagt Renn. „Der Satz ,Wer Roulette spielen will, geht an die Börse‘ ist völlig überzogen – zumindest bei einer breiten Streuung des Vermögens, die mehr als nur ein paar Einzelaktien berücksichtigt.“
Professor Ortwin Renn

Ortwin Renn arbeitet als wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Der Soziologe und Volkswirt ist zudem ein international anerkannter Risikoforscher und Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.
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