Finanzpsychologie
Mittwoch, 22.09.2021

Finanzpsychologie

Wie rational ist unser Verhalten beim Thema Geld?

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Warum hängt es vom Namen des Restaurants ab, wie viel Geld wir dort ausgeben? Und warum schätzen wir den Wert eines Gegenstandes höher, wenn wir zuvor an eine große Zahl gedacht haben? Psychologen fanden heraus, dass wir uns bei Finanzentscheidungen nicht immer objektiv und wirtschaftlich verhalten. Welche Effekte Psychologen bekannt sind, haben wir in diesem Beitrag zusammengefasst.

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Verlustaversion

Alexander ist verstimmt. Beim Blick auf sein Konto hat er festgestellt, dass der Wert eines seiner drei Anlageprodukte in den letzten sechs Monaten um rund 400 Euro gesunken ist. Er beachtet dabei nicht, dass zwei seiner Anlagen in dieser Zeit gestiegen sind: die eine um 280 Euro und die andere um 320 Euro. Als seine Freundin nach Hause kommt, klagt er: Ich habe 400 Euro verloren.

Verluste schmerzen mehr, als Gewinne in gleicher Höhe Freude bereiten können. Es gilt als erwiesen, dass ein negatives Ereignis rund 2,5 Mal intensiver empfunden wird als ein positives Ereignis. Wenn also 400 Euro verloren sind, müssten um die 1.000 Euro gewonnen werden, um den Schmerz des Verlustes aufzuwiegen.

Kompromiss-Effekt

Marie möchte sich einen neuen Mixer kaufen. Preis und Qualität sind zwei Kriterien, auf die sie achten möchte. Es stehen drei Geräte zur Wahl: Mixer 1 entspricht genau ihren Vorstellungen. Dieser hat aber einen sehr hohen Preis. Mixer 2 ist in Form und Leistung in Ordnung. Mixer 3 ist die sogenannte Billigversion. Marie vermutet, dass der günstige Mixer von schlechterer Qualität ist. Marie entscheidet sich für Mixer 2.

Der Kompromiss ist in Maries Fall nicht die goldene Mitte, denn: Der ausgewählte Mixer ist weder im Preis noch in der Qualität der Sieger. In der Psychologie wird als Kompromiss-Effekt die Abneigung gegen Extreme bezeichnet. Also die Tendenz, sich bei einer Wahl für nicht herausragende Merkmale zu entscheiden.

Bestätigungsverzerrung

Mia und Ben lieben Wein. Gerne überraschen sie sich gegenseitig mit Neuentdeckungen. Heute hat Mia einen sehr günstigen Wein mitgebracht. Den Preis verrät sie Ben nicht. Da Mia bisher immer besonders teure und gute Weine zu der Verkostung mitgebracht hat, schmeckt Ben der Wein ausgesprochen gut und er tippt, dass es sich um den Erstwein eines Spitzenweingutes handelt.

Forscher fanden in Experimenten heraus, dass die Testpersonen nicht nur behaupteten, dass beispielsweise ein überteuertes Produkt besonders gut sei. Sie hatten beim Kaufen und Konsumieren auch nachweisbare Glücksgefühle. Die Finanzpsychologie spricht auch von „Confirmation Bias“ (Voreingenommenheit). Dieser Effekt bewirkt, dass Informationen so uminterpretiert werden, dass die eigene Anschauung bestätigt wird. Menschen suchen also nach Beweisen für das, was sie für richtig und wahr halten: Sie nehmen selektiv wahr, Gegenargumente werden ignoriert. Wurde beispielsweise viel Geld in ein Produkt investiert, wird der Besitzer vor allem die positiven Bewertungen herausfiltern. Somit bestätigt er sich selbst, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Anker-Effekt

Emma und Paul studieren in den USA und machen bei einem Experiment mit. Sie werden gebeten, die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer zu notieren und dann den Preis einer wertig wirkenden Flasche Wein zu schätzen. Emmas Nummer endet mit den Ziffern 04 und sie schätzt den Wert auf rund acht Dollar. Pauls Nummer endet auf 87 und er schätzt die Weinflasche auf 27 Dollar.

Dieses Beispiel stellt eine Testserie von Wissenschaftlern aus den USA nach, die im Rahmen der Finanzpsychologie durchgeführt wurde. Wie lässt sich so ein Testergebnis erklären? Um den Wert einer Sache einschätzen zu können, ist das Gehirn auf der Suche nach Vergleichswerten. Sind diese nicht zu finden, werden erstaunlicherweise aus dem Zusammenhang gerissene Zahlen herangezogen und als Bezugspunkt und Anker verwendet. Auch die Forschungsreihe von Critcher & Gilovich bestätigt den Anker-Effekt: In einem Restaurant namens „Studio 17“ geben Gäste durchschnittlich 8 Dollar weniger aus als in einem Restaurant mit dem Namen „Studio 97“.

Finanzpsychologie

Finanzpsychologie

 

Die Finanzpsychologie ist ein relativ junges Forschungsgebiet, das Anfang der achtziger Jahre in den USA unter dem Begriff „Behavioral Finance“ (Umgang mit Geld) entstanden ist. Sie untersucht die Beweggründe sowie die Denk- und Verhaltensmuster von Menschen in Bezug auf finanzielle Entscheidungen: Im Vordergrund der Forschung stehen die Fragen, wie Anlageentscheidungen zustande kommen und welche Fehler dabei in der Regel gemacht werden.

Prozent-Effekt

Jule fährt mit ihrem alten Fahrrad durch die halbe Stadt, weil sie die 45-Euro-Hose, für die sie sich entschieden hat, in einem anderen Laden 12 Euro günstiger bekommen kann. Drei Tage später beschließt sie, ein neues Fahrrad zu kaufen. Obwohl sie weiß, dass das ausgewählte Rad im Laden um die Ecke 12 Euro günstiger ist, kauft sie es in dem Geschäft, in dem sie gerade ist. In beiden Fällen geht es um 12 Euro. Jule empfindet die Summe aber als unterschiedlich hoch, da Menschen in Vergleichen denken. Die Ersparnis oder die Mehrkosten werden in Bezug zum Gesamtwert gesetzt. Ebenso verhält es sich beispielsweise auch bei einem Hauskauf. Im Verhältnis zum hohen Kaufpreis fällt die Entscheidung für die teuerste Badausstattung sehr viel leichter. Anbieter teurer Produkte nennen daher häufig zunächst den Standardpreis und die kostspieligen Extras werden zuzüglich angeboten.

Besitztumseffekt (Endowment Effect)

Leon möchte ein neues Auto kaufen und seinen jetzigen Wagen in Zahlung geben. Der Autoverkäufer macht ihm zwei Angebote: 5.600 Euro für den alten Wagen und der Neuwagen kostet 20.000 Euro. Oder 7.600 für den Gebrauchten und 22.000 Euro für das neue Auto. Leon muss nicht lange überlegen und wählt Angebot zwei. In beiden Fällen zahlt Leon das Gleiche für sein neues Auto. Er wählt trotzdem Angebot zwei, weil er mehr Wertschätzung und Geld für sein altes Auto bekommt. Fachleute sagen, dass es sich dabei um eine kognitive Verzerrung handelt. Menschen neigen dazu, ihre eigenen Gegenstände als wertvoller einzuschätzen als Vergleichsprodukte. Zum realen Marktwert wird unbewusst ein ideeller Wert hinzugerechnet.

Versunkene-Kosten-Dilemma

Unternehmen X hat ein neues Produkt entworfen. Ein großes Team hat über Monate mit Herzblut daran gearbeitet. Bei der ersten Präsentation des Produkts auf der Verbrauchermesse erweist es sich als Flop: Die Kunden haben kein Interesse. Die  Geschäftsführung glaubt weiterhin an das Produkt und investiert in eine groß angelegte Werbekampagne. Auch diese Maßnahme zeigt, dass die Verbraucher kein Interesse an dem Produkt haben. Dennoch wird noch mehr investiert und eine größere Marketingkampagne geplant und durchgeführt.

Festhalten bis zum bitteren Ende: Ein Dilemma, das in Fachkreisen auch Sunk-Cost-Effekt genannt wird. Der Effekt kommt immer dann zum Tragen, wenn in ein Projekt schon Energie, Zeit und Geld investiert wurde. Logische Entscheidungen können aber nur aufgrund der zukünftigen Kosten und Nutzen getroffen werden. Der Sunk-Cost-Effekt beschreibt das Phänomen, dass bereits vergangene Investitionen die aktuellen Entscheidungen beeinflussen können. Auf diese Weise werden erfolglose Projekte weitergeführt, statt sie zu beenden und die Fehlinvestition zu akzeptieren.

Dispositionseffekt

Tim hat zwei Aktien im Depot. Eine steht 100 Euro im Minus. Die andere 100 Euro im Plus. Beide haben einen Wert von aktuell 1.000 Euro. Tim braucht genau 1.000 Euro und verkauft die Gewinneraktie. Das ist ein typischer Fall des Dispositionseffekts. Eine amerikanische Studie hat dokumentiert, dass viele Anleger sich eher von Gewinneraktien trennen und Verliereraktien behalten. Diese Phänomen hängt mit der bereits oben genannten Verlustaversion zusammen: Menschen vermeiden lieber einen Verlust, als einen Gewinn zu erzielen.

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